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1,3 Millionen Deutsche gelten als verschollen - Jedes Jahr 2000 neue Anfragen beim DRK-Suchdienst

Experten für die Suche nach Vermissten: Charles-Claude Biedermann und Dorota Dziwoki in Bad Lippspringe

Bad Lippspringe. Mehr als 60 Jahre nach Kriegsende sind noch immer 1,3 Millionen Schicksale von Wehrmachtssoldaten und verschollenen Zivilisten ungeklärt. Das hat am Samstag Dorota Dziwoki von der DRK-Suchdienstleitstelle Berlin in Bad Lippsringe (Kreis Paderborn) erklärt.

Jedes Jahr gehen bis zu 2000 neue Suchanfragen beim DRK ein, sagte die Leiterin des Suchdienstes bei der Eröffnung der Ausstellung "Vermisst - gesucht - gefunden!". Die Folgen des Zweiten Weltkrieges seien noch heute spürbar, "denn viele Kinder und Enkelkinder ersuchen um Aufklärung". 1950 galten etwa 2,5 Millionen Deutsche, in der Regel Soldaten, als vermisst. "Damit konnten bis heute immerhin 1,2 Millionen Fälle geklärt werden", betonte Dziwoki. Die Öffnung der Archive inb den Ländern des ehemaligen Ostblocks erleichtere die Suche. Zu den Leidtragenden der Wirren des Weltkriegs von 1939 bis 1945 gehörten viele Kinder, die den Kontakt zu ihren Eltern verloren. 500.000 von Ihnen seien bis heute aufgespürt und mit Angehörigen in Verbindung gebracht worden, berichtete Dziwoki. Besonders aufwändig gestalte sich die Suche nach den Wurzeln der 33.000 Findelkinder. Dziwoki: "Viele von ihnen konnten nicht mal ihren Namen sagen, aber trotzdem haben wir bis auf 400 alle Fälle geklärt." Um Familien zusammen zu führen, arbeiten die Dienststellen in Berlin, Hamburg und München mit dem Internationalen DRK-Suchdienst im hessischen Bad Arolsen zusammen. Dort gehen nach Angaben des Direktors Charles-Claude Biedermann jedes Jahr bis zu 150.000 Suchanträge aus mehr als 60 Ländern ein. Der vom Bundesinnenministerium finanzierte Internationale Suchdienst verfüge mittlerweile über 10 Millionen personenbezogene Dokumente aus Konzentrationslagern und 13 Millionen schriftlicher Spuren aus der Nachkriegszeit. Das Aufspüren von Vermissten sei Detektivarbeit, deutete Biedermann an: "Für den Vornamen Elisabeth sind wir auf 265 Schreibweisen gestoßen, beim Nachnamen Schwartz auf 157." Der Umgang mit Suchdienstergebnissen verlange Sensibilität: "Die Unterlagen aus Bad Arolsen könnten ganze Familien zerstören." Biedermann nannte als Beispiel die Kinder, die aus dem Nazi-Projekt "Lebensborn" hervorgingen. Deren zu "arischen Gebärmaschinen" herabgewürdigte Mütter hätten im Ausland eine neue Identität angenommen und wollten keinen Kontakt zu ihren ideologisch verordneten Nachkommen. Der Internationale Suchdienst (350 Stellen) führt Familien zusammen, stellt Bescheinigungen an Verfolgte und deren Rechtsnachfolger aus und bewahrt die Erinnerung an Deportation und Vertreibung durch Sammeln und Konservieren der Dokumente. "Ein Konflikt ist mit dem Schweigen der Waffen noch nicht beendet", sagte Biedermann. Der nationale DRK-Suchdienst hilft mittlerweile mit seinen "Personalauskunftsstellen" auch bei der Identifizierung von Schicksalen nach Naturkatastrophen wie dem Tsunami. Außerdem werden sie Personen während der Fußball-WM registrieren. Viele Exponate der Ausstellung "Vermisst-gesucht-gefunden!" stammen aus der rotkreuzgeschichtlichen Sammlung von Jürgen Reuter aus Bad Lippspringe. Die 60jährige Geschichte des Suchdienstes wird noch bis zum 13. Mai in der Arminius-Trinkhalle erzählt. In dieser Form bislang einmalig, haben sich der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (Bezirk Bielefeld) und die Dokumentationsstätte Stalag 326 in Stukenbrock-Senne an der Ausstellung beteiligt. - - -

Kommentar

DRK-Suchdienst / Am falschen Ende gekürzt Solange noch Menschen aus der Kriegsgeneration leben, ist es ihnen der Staat schuldig, nach vermissten Angehörigen zu suchen. Diese Aufgabe, die seit 60 Jahren das Rote Kreuz in vorbildlicher Art und Weise wahrnimmt, wird aber in jüngster Zeit von der Bundesregierung erschwert. Der Direktor des Internationalen Suchdienstes in Bad Arolsen, Charles-Claude Biedermann, beklagt "massive Personalkürzungen". Auf Druck des Innenministeriums als Geldgeber hätten 65 Stellen gestrichen werden müssen. Außerdem lehne es die Regierung ab, sich an den Kosten zu beteiligen, um die Millionen Dokumente für Historiker zugänglich zu machen. Bei 1,3 Millionen ungeklärten Schicksalen stößt die Regieru8ng mit ihrem Verhalten vielen Frauen und Kindern vor den Kopf, die wissen möchten, wo ihr Mann oder Vater im Krieg umgekommen ist. "Die Ungewissheit über das Schicksal naher Angehöriger ist genauso schwer zu ertragen, wie die Gewissheit ihres Todes", betont Dorota Dziwoki vom DRK-Generalsekretariat zurecht. Nicht alle Fälle können aufgeklärt werden: Die Opfer der "Todesmärsche" und "Vernichtungslager" sind nicht dokumentiert. Aber der 8. Mai mahnt uns, die Suche nach 100.000 andere fortzusetzen. Quelle: Westfälisches Volksblatt